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Besser irrationales Verhalten als Depression

Ich war beim Arzt. Präziser gesagt bei meiner Hausärztin. Was mich hintrieb war ein heftiger Infekt von den Nasennebenhöhlen, über den Hals, bis zu den Bronchien hinunter. Dieser feindlich gesinnte Kollege besucht mich nunmehr im zweiten Jahr und der Verlauf ist gleich. Infekt mit Fieber und Schlappheit, dann wird es besser, bleibt eine Woche stabil und dann kommt der Rückfall. Jedenfalls schlug ich bei meiner Ärztin ein und stellte mich am Empfang auf, da vor mir kein Patient stand dessen Privatsphäre ich respektieren soll, aber nicht kann, denn dazu sind die Praxen viel zu klein. Der Empfang war leer, weil die Arzthelferinnen alle im Labor oder sonst wie unterwegs waren. Dann öffnete sich hinter mir die Eingangstür und jemand trat ein. Als ich mich umblickte, stand eine kleine, sehr zierliche ältere Dame hinter mir. Die Dame war nur etwa so groß wie meine Großmutter einst war, so um die „einspaarundfünfzig“. Meine erste Schätzung ihres Alters landete so bei etwa 80 Jahren. Ich sah sie an und bot ihr an, sie vorzulassen. Daraufhin meinte sie leicht entrüstet:

„warum glauben Sie denn, mich Vorlassen zu müssen“? So das hat man nun davon verehrte Frau Mutter. Da macht man das was einem beigebracht wurde, nämlich höflich gegenüber älteren Mitmenschen zu sein, beleidigt diese aber unter Umständen. Da ich ja auch nicht ganz blöd und auf den Mund ganz und gar nicht gefallen bin, antwortete ich ihr:

„weil ich vermutlich länger stehen kann als Sie“. Das fand ich angemessen ehrlich, wie auch höflich. Sie lächelte denn auch und meinte so in etwa:

„na, das wollen wir doch erstmal sehen“. Tolle alte Dame dachte ich. Nachdem ich mich mit meinem Schnupfen angemeldet hatte, setzte ich mich sodann in den Wartebereich um in der FAZ zu lesen. Auch etwas, was ich an meiner Ärztin schätze, dort liegt immer die FAZ aus. Als ich mich in den Wartebereich begab, saßen dort ein Endvierziger und eine junge Frau um die zwanzig. Beide sahen mich an und grinsten über die alte Dame. Dann hörten wir die Dame an der Rezeption loslegen. Ich gebe das hier mal einfach kurz wieder.

Dame: „Ich brauche ein Rezept für dieses Zeugs da, dies Irbe Satan“ (sie meinte Irbesartan ein leichter Blutdrucksenker) „ davon habe ich fast nichts mehr.“

Praxis: „Ihr Name und Geburtsdatum?“

Dame: „Meyer, Gerlinde“ (oder so ähnlich) „ 30. April 1930“. Aha, die Dame war also fast neunzig Jahre alt. Die junge Frau sah mich an, grinste breit und nickte, auch sie konnte rechnen. Doch damit nicht genug, meinte die Dame dann noch:

„Und stellen Sie das Rezept nicht für die kleine Packung aus, ich will die Große, die mit 180 Stück drin“!

Hammerhart, kurz vor neunzig und ordert Pillen für ein halbes Jahr. Sehr vorausschauend, bzw. die Möglichkeit des eigenen Ablebens vor dem Ende der Pillenration ignorierend. Aber, dachte ich, besser als den ganzen Tag über den bevorstehenden Tod nachzudenken und Depressionen zu schieben. Mir hat diese Einstellung – oder eben Gedankenlosigkeit – der Dame wirklich gut gefallen.

Categories: 我的金瓶梅

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