Heute früh ist mir auf der Autobahn ein Idiot voll vor meine Karre gezogen und ich musste bremsen wie ein Blöder. Das war einer von denen, die nach dem Motto fahren, Hauptsache ich bin ausgeschert, soll der andere doch sehen wie und wo er bleibt. Natürlich habe ich den Idioten sofort entschuldigt, weil sein Kennzeichen mit „WUN“ begann. „WUN“ steht für Wunsiedel. Woher dieses Wunsiedel seinen Namen hat, dass mögen die Götter oder Wikipedia wissen. Das einzige was ich über Wunsiedel weiß, ist dass es im Fichtelgebirge liegt und das Selb das gleiche Kennzeichen hat. Was will ich mit Selb? Ich habe mal 4 Monate meines Lebens dort gearbeitet (im Exil sozusagen) und zwar für echte Armleuchter. Die Sache war die, dass man uns unser Frankfurter Büro von „Sprague Electronic“, wegen einer Übernahme unserer Gesellschaft in den USA, dichtgemacht hat. Ist ´ne feine Sache, wenn man eine sogenannte betriebsbedingte Kündigung im Briefkasten hat, da spielt es auch kaum eine Rolle, wenn man das vorher weiß und man bereits einen sogenannten Übernahmevertrag bekommen hat. Fakt ist und bleibt nur einer: die haben einen rausgeschmissen. Das Büro war denen zu teuer, also alles nach Selb. Die Bude in Selb stammt aus „Rosenthalzeiten“ (Totental passt besser), heißt Keramik. Ja, das ist der „Rosenthal“, der auch das Porzellan macht. Man sagte mir, wir hätten da bei „Draloric“ immer noch Personalrabatt, obwohl die Kiste – die Widerstände herstellt, na besser gesagt schmiedet – längst über „Corning“ (auch Keramik) an „Vishay“ verkauft war. Vishay? Der hieß bei uns immer „Haifisch“ – wobei ich dann immer an Mackie Messer denken muss: …und der Haifisch, der hat Zähne…
Die Härte an der Kiste war aber, dass der ganze Vishay-Laden ein mieses und dreckiges Unternehmen ist. Der Besitzer, ein gewisser Israeli, der in den USA sein Unwesen trieb und alles aufkaufte was unter seine Finger geriet, namens „ Zandman“ hatte nur Leute eingestellt, die genauso zwielichtig waren wie er selbst. Der eine hieß Dr. Paul und sein Adlatus für den Vertrieb hieß Erich Schädlich, wobei Erich hin oder her, Schädling wäre treffender gewesen, aber dass konnten ja seine Vorfahren schlecht ahnen. Dieser ganze gottverdammte Haufen den ich da in Selb vorfand, war ein einziges unbeschreibliches Grauen. Die regierten da wie die Fürsten im Mittelalter, die zwei, und alles andere duckte sich in der Firma, in der tiefen Angst den Job zu verlieren. Nach vier Stunden im Büro in Selb war eines für mich klar. Ich suche mir einen neuen Job. Das war damals nicht unbedingt eine besonders günstige Zeit einen neuen Job zu suchen, aber ich fand einen, das dauerte nur so an die 10 Wochen – Schwein gehabt. So bin ich zu „Sonnenschein“ gekommen, und da bin ich im Prinzip trotz einiger Verkäufe lange gewesen.
Meine Frau hat damals alles verstanden, bis auf eines: Selb liegt nicht am A… der Welt, es ist nicht mehr auf unserem Planeten. Jeder gottverdammte Kral in Afrika hat mehr Flair und Kultur als Selb. Meine Frau meinte immer, wenn notwendig, dann ziehen wir dahin. Lange Wochen diskutierten wir das, und dann nahm ich sie mit. Unser Sohn war bei den Großeltern und ich musste nach Selb. Bis zur Abfahrt Gefrees an er A9 war meine Frau fest davon überzeugt: wir ziehen da hin; so schlimm könne das da gar nicht sein. Aber als wir dann durch die ersten Kilometer finsteres Fichtelgebirge fuhren, da schielte ich immer mal nach rechts und sah wie meine Frau schluckte. Nicht bildlich gesprochen, sie schluckte real – also wirklich. Da war mir klar, dass ihr klar war, dass das niemals gutginge. Mir war vorher schon eines ganz bewusst geworden, dass die Frage war: entweder mein Job oder meine Ehe, denn da würde meine Frau eingehen.
Eines habe ich mir allerdings geleistet. Den Schädling, den habe ich immer spüren lassen, dass er für mich das ultimative Beispiel für nackte Idiotie ist. Leider hatte er zuviel Schiss, mich zu früh rauszuschmeißen; war wohl die Angst vor Wissensverlust. Die Kollegen die da auch als Anwendungstechniker für Widerstände arbeiteten (ich machte Kondensatoren) waren nicht schlecht, aber nicht so schnell in der Lage, das einfach zu übernehmen. Den Schädling den habe ich immer mindestens einmal die Woche merken lassen, dass ich ihn nicht eingeschult hätte (IQ < 69). Raus bekommen habe ich dann noch – in so einem Kaff wie Selb wird auch viel geschwätzt – dass der den Job sowieso nur bekommen hat, weil er früher bei seinem alten Chef Samstags immer den Rasen gemäht hat. Mal vorausgesetzt da ist auch nur ein Krumen Wahrheit dran – dann armes Deutschland.
Oft in den letzten 20 Jahren habe ich bei Veränderungen und Gehaltsanpassungen in den Folgefirmen gedacht, dass ich jedes Jahr eine Dankpostkarte nach Selb schicken sollte.
Eine Quintessenz ist aber doch noch für mich dabei rausgesprungen, ich habe begriffen, dass man sein Leben eigentlich gar nicht wirklich planen kann. Ich dachte bis dahin immer, ich sei nur zu blöde um mein Leben wirklich zu planen. Nach der Geschichte mit dem Haifisch kam ich zu der Auffassung, dass es mehr Dinge im Leben gibt, die sich einer direkten, persönlichen Kontrolle entziehen, als solche, die man wirklich beeinflussen kann. Wenn Stoiber wirklich König von Deutschland wird, dann bin ich nur ein minimaler Teil der gesamten Wähler, welchen Einfluss habe ich da – einen ebenso kleinen. Ich glaube, dass wir alle nur ein kleines Stückchen Holz auf einem dahin fließenden Fluss sind. Manchmal krallen wir uns mit einer kleinen Faser am Ufer oder einem noch größeren Stück Holz fest, für eine kleine oder größere Weile. Bis dann der Strom siegt und uns wieder mit sich fortträgt. Manche von uns treffen im Leben irgendwann den richtigen Mann oder die richtige Frau. Manche glauben die Person getroffen zu haben, um irgendwann festzustellen, dass sie sich geirrt haben. Manche finden ihren Traumjob gleich, andere brauchen länger oder suchen sich ein Hobby. Ich bin immer über diese Karriereplaner so erstaunt, die machen das alles in dem tiefen Glauben das funktionierte. Ich wünsche es ihnen nicht, aber ich fürchte, dass sie eines Tages aufwachen werden, nur um feststellen zu müssen, sie haben sich geirrt. Dann hat eben der Strom wieder zugeschlagen und die Fahrt geht weiter. Wichtig für mich ist, am Ende fest davon überzeugt zu sein, all dies hat einen positiven Sinn – heißt in Bayern „Gottvertrauen“ – aber ich bin ja kein Bayer.
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