Da ist noch diese Sache mit dem Westermann. Dass der Westermann nicht nur aussah wie Heinz Rühmann, sondern auch genauso kurz war, habe ich in einer anderen Geschichte schon erwähnt. Dass er mein Berufschullehrer in Sachen Buchführung und kaufmännischem Rechnen war, sollte ich wohl noch anfügen. Westermann hat mich gehasst. Ich verkörperte für ihn alles Schlechte der Jugend und hatte in dem Berufsstand seiner Meinung nach nichts verloren. Außerdem hatte er erkannt, dass ich ein äußerst fauler Geselle war – dazu später mehr. Er hätte mich so gerne abgesägt. Nur leider „Gottes“ ist das in den genannten Fächern ziemlich schwierig, denn da ist alles faktenbasiert, da gibt es keine sogenannten weichen Faktoren. Die sind nicht existent, alles ist richtig oder falsch, schwarz oder weiß und dazu noch auf Papier nachvollziehbar festgehalten. Da kann man einen Schüler der einfach seine 2 oder 3 schreibt nicht absägen, vergraulen oder mit schlechter Benotung demütigen. Dass er mich im Unterricht immer verbal demütigte, ertrug ich schlecht und recht. Dass ich ihn auch hasste, bedarf wohl keiner gesonderten Erklärung. Für mich verkörperte er alles, was verstaubt und reaktionär war. Eines Tages aber ertrug ich den Gedanken an ihn nur schlecht, blieb des Morgens im Bett liegen und schiss auf die Berufsschule. Irgendwann klingelte dann das Telefon und ich raffte mich auf. Dran war Focko, ein Lehrjahr über mir. Jaja, ich weiß, das heißt Ausbildung – Bullshitbingo (Krücken sind Unterarmgehstützen) – „Woking“ grüßt. Focko wollte mich warnen, der gute Westermann – kleiner Mistkerl, der er war – hatte in der Firma angerufen und als alte Petze berichtet, ich würde die Berufsschule schwänzen. Was ich ja in der Tat auch tat. Das muss durch den Flurfunk der Firma gegangen sein wie ein Lauffeuer. Außerdem hatte der üble Kerl auch noch meinen Erzeuger angerufen und ihm von meinem Berufsschulschwänzen vorgenörgelt. Da ich über 18 Jahre alt war und nicht mehr im Haushalt meiner Eltern lebte, wohl die größte Sauerei seiner Karriere. Jedenfalls war nun Panik bei mir angesagt, maximaler Ärger stand ins Haus. Ich grübelte, wie ich aus der Nummer herauskommen sollte. Dann hatte ich einen Blitzgedanken. Ich ging zum Arzt, dem erzählte ich von Übelkeit und ähnlichem, und besorgte mir so ein Attest für die Berufsschule. Am nächsten Tag durfte ich dann in der Firma beim Alten antreten, um mich zur Sau machen zu lassen. Das machte der auch gründlichst auf seine Art und Weise. Als er fertig war, sagte ich ihm, dass es mir schlecht gegangen und beim Arzt gewesen sei. Das nahm ihm den Wind aus den Segeln und die Sache war in der Firma erledigt. Jetzt zu meinem Erzeuger. Mein Vater hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Dass jetzt sein Sohn da von diesem Lehrer so zu Unrecht denunziert worden war, das brachte ihn so richtig auf die Palme. Also ist der dem Westermann auf die Pelle gerückt und hat den in einem persönlichen Gespräch eingemacht. Der muss klein, mit Hut gewesen sein. Ich kenne meinen Vater. Er ging Konflikten eher aus dem Weg. Aber wehe, man machte ihn sauer, dann konnte er richtig aufdrehen. Er hatte dabei im Gegensatz zu mir eine so unheimlich anmutende, ruhige Art. Ich stelle mir noch heute vor, wie der dem Westermann richtig genüsslich die Sacknaht langgezogen hat. Jedenfalls hat er in dem Gespräch zwei Dinge getan. Erstens hat er den Westermann mit offenem Visier gefragt, ob er irgendwas gegen mich hätte, was die Ratte natürlich bestritt. Und zweitens hat er dem Guten gedroht, ihn bei der Schulleitung wegen seiner falschen Beschuldigung anzuschwärzen, wenn er mir nochmal doof käme. Klar, dass der gute Shanty-Schifferklavierspieler Westermann mich nur noch mehr hasste. Leider hatte er die falsche Fächerkombination, sodass er mir nicht an die Wäsche konnte. Jedenfalls hatte Focko mich gerettet, durch ihn konnte ich das Desaster für mich in ein Desaster für Westermann verwandeln. Sun Zi und Clausewitz wären sicher stolz auf mich gewesen. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich habe meinem Vater nie erzählt, dass ich ihn im Prinzip zu meinem Werkzeug gemacht habe, was mir aber auch kein schlechtes Gewissen bereitet, denn der Kämpfer, der aus Überzeugung handelt, ist der Beste, den man bekommen kann. Und den Dienst war er mir im Prinzip ohnehin schuldig. Die Sache mit Focko war im Prinzip so, dass wir uns immer gut verstanden und oft durch gemeinsames Lachen Frust in der Lehre kompensierten. Ich habe ihn auch so manches Mal gedeckt, wenn er eine seiner Eskapaden riss. Etwas, das Sun Zi sicher gut gefallen hätte.
Kommen wir noch zur Faulheit. Ich war immer zu faul in kaufmännischem Rechnen die Dreisatz- bzw. Kettensatzaufgaben durch Nachdenken zu lösen. Da der Faule aber immer auf eine Lösung kommt, die einfacher und meist auch schneller geht, löste ich die Aufgaben einfach anders. Alle Tests waren Multiple-Choice-Tests. Da waren dann Bruchstriche als Lösungen und man musste den Richtigen ermitteln. Da ging es in der Regel um 3 bis 4 Faktoren oberhalb und 2 bis 3 Faktoren unterhalb des Bruchstrichs Ich fand dann heraus, dass immer nur ein Bruch eine vernünftige Lösung anbot, die Ergebnisse der Anderen waren immer völliger Blödsinn. Also dachte ich nicht mehr nach. Ich las die Aufgabe, rechnete die Brüche mit dem Taschenrechner durch und kreuzte dann einfach eiskalt und ohne weiter nachzudenken den plausibelsten Bruch an. Auch das ein kleiner Sieg über den guten Westermann. Den Taschenrechner durften wir übrigens schon benutzen. Meine Tante Ilse hatte mir einen geschenkt, einen Pico PA 80 N; von Eduscho wie ich gerade herausfinde. Wusste ich gar nicht. Danke nochmal für das Ding Ilse.
Categories: 我的金瓶梅
Schreibe einen Kommentar